Konjunkturelle Entwicklung in der Kernregion Ostschweiz Leichte Abkühlung in Ostschweizer Industrie, Binnenwirtschaft wirkt stützend
Die Geschäftslage der Ostschweizer Industrieunternehmen hat sich in den ersten Monaten des laufenden Jahres leicht verschlechtert. Insgesamt wird sie aber weiterhin als gut eingeschätzt. Der milde Winter und die abgeschwächte Energiekrise haben den befürchteten, stärkeren Einbruch ausbleiben lassen. Dämpfend wirkt das Auslandgeschäft. «Das eingetrübte internationale Umfeld lastet auf den Exporten», erklärt IHK-Chefökonom Jan Riss. «Der Bestand an Auslandaufträgen entwickelte sich zuletzt rückläufig und wird aktuell von den Unternehmen insgesamt als zu klein eingeschätzt.»
Die binnenorientierten Branchen entwickeln sich in der Ostschweiz derweil stabil. «Detailhandel und Baugewerbe beurteilen ihre Geschäftslage als gut bis sehr gut. Auch das Gastgewerbe konnte die deutlich positive Lage vom Vorquartal halten», so Riss. Im Bau präsentiert sich die Lage insbesondere im Baunebengewerbe weiterhin sehr gut, aber auch die Unternehmen im Bauhauptgewerbe zeigen sich unverändert zufrieden.
Lieferketten normalisieren sich, hohe Lagerhaltung
Positive Signale gibt es bei den Lieferketten. Diese haben sich zuletzt weiter normalisiert, wie die Rückmeldungen unter anderem aus der Industrie und dem Grosshandel aufzeigen. Die Transport- und Logistikprozesse funktionieren wieder und der Mangel an Vorprodukten hat sich deutlich reduziert. Branchenübergreifend haben die Unternehmen die Lagerhaltung ausgebaut. Beat Schiffhauer, Konjunktur- und Finanzexperte bei der St.Galler Kantonalbank: «Mittlerweile berichtet die Mehrheit der Industrie- und Grosshandelsunternehmen von einer zu grossen Lagerhaltung, sowohl bei den Vor- als auch bei den Endprodukten. Einerseits fahren viele Unternehmen nach wie vor eine defensive Lagerstrategie», so Schiffhauer. «Andererseits zeigen Rückmeldungen aus dem Maschinen- und Fahrzeugbau, dass Bestellungen bisweilen spät oder gar nicht abgerufen werden.»
Preisdynamik flacht ab
Die Preisdynamik flacht ab. Branchenübergreifend gehen die Unternehmen davon aus, dass der Preisauftrieb abnimmt. Die Ostschweizer Grosshandelsunternehmen erwarten gar erstmals seit zwei Jahren sinkende Einkaufspreise. Am häufigsten sind Preiserhöhungen im Gastgewerbe geplant, allerdings auch hier von weniger Unternehmen als in den Vorquartalen.
Schweizweit erreichte die Inflation mit 2.6% gegenüber dem Vorjahresmonat zuletzt den tiefsten Stand seit einem Jahr. Sie ist aber in der Breite angekommen. Anfänglich wirkten primär Energie und Rohstoffe teuerungstreibend, nun verharrt die Kerninflation (ohne Energie, Treibstoffe und frische Produkte) auf über 2%. Auch verteuerten sich im April die Inlandgüter erstmals seit Anfang 2020 stärker als die importierten Güter. Während die Teuerungsraten bei den Waren insgesamt rückläufig sind, ist dies bei den Dienstleistungen (noch) nicht der Fall. Die Nationalbank dürfte die geldpolitischen Zügel daher weiter straffen, um so eine allgemein akzeptierte Inflation zu verhindern.
Arbeits- und Fachkräftemangel stabilisiert sich auf hohem Niveau
Auch die Löhne erweisen sich zunehmend als Inflationstreiber. Steigende Löhne und Lohnnebenleistungen sind unter anderem das Resultat von nahezu Vollbeschäftigung. Die hohe Arbeitsplatzsicherheit stützt zwar den Konsum. Auf der anderen Seite beurteilen die Ostschweizer Unternehmen den Arbeits- und Fachkräftemangel mittelfristig aber als grösste Herausforderung. Dieser hat sich seit Anfang Jahr auf hohem Niveau stabilisiert. «Die Arbeitslosenquote hat sich in den Ostschweizer Kantonen St.Gallen, Thurgau und beide Appenzell insgesamt auf sehr tiefen 1.6% eingependelt», erklärt Karin Jung, Leiterin des Amts für Wirtschaft und Arbeit des Kantons St.Gallen. Rund 60% der Baufirmen, 40% der Industriebetriebe und ein Drittel der Grosshandelsunternehmen würden derzeit von einem Mangel an Arbeitskräften berichten. «Die Unternehmen zeigen sich überdies weniger zuversichtlich, ihren Personalbestand ausbauen zu können.»
Verhalten optimistischer Ausblick
Insgesamt zeigen sich die Ostschweizer Unternehmen aktuell verhalten optimistisch. Für die Geschäftslage erwarten sie mehrheitlich eine Stabilisierung oder gar eine positive Entwicklung. Es ist daher nicht davon auszugehen, dass sich die Abkühlung akzentuiert und in einen wirtschaftlichen Einbruch mündet. Die Industrieunternehmen rechnen – mit Ausnahme der Teilbranche Elektronik und Optik – nicht mit einer weiteren Verschlechterung der Geschäftslage. Die Exporte und die Bestellungen dürften wieder leicht anziehen. Besonders zuversichtlich für die nächsten sechs Monate äussern sich die Unternehmen aus dem Baunebengewerbe und dem Gastgewerbe.
Konjunkturboard Ostschweiz
Das Konjunkturboard Ostschweiz beurteilt quartalsweise die konjunkturelle Entwicklung der Ostschweizer Wirtschaft. Basis dafür bilden die regelmässigen Konjunkturumfragen in Zusammenarbeit mit der Konjunkturforschungsstelle (KOF) der ETH Zürich.
Das Konjunkturboard setzt sich wie folgt zusammen: Vonseiten der IHK St.Gallen-Appenzell aus Jan Riss, Chefökonom, und vonseiten der St.Galler Kantonalbank aus Caroline Hilb Paraskevopoulos, Leiterin Anlagestrategie und Analyse, sowie Beat Schiffhauer, Senior Konjunktur- und Finanzexperte. Die Ökonomin und die beiden Ökonomen kommentieren quartalsweise die Konjunkturlage in der Ostschweiz und bringen diese in den nationalen und globalen Kontext. Ergänzt wird das Gremium um Jérôme Müggler, Direktor IHK Thurgau, Karin Jung, Leiterin Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons St.Gallen, Daniel Lehmann, Leiter Amt für Wirtschaft des Kantons Appenzell Ausserrhoden, sowie Thomas Reinhard, Leiter Projekte und Wirtschaftsfragen Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Thurgau. Diese breite Kombination bündelt verschiedene Kompetenzen und ermöglicht eine ganzheitliche sowie konsistente Einschätzung zur konjunkturellen Entwicklung in der Region.
Konjunkturindizes für die Kernregion Ostschweiz
Das Konjunkturboard Ostschweiz publiziert quartalsweise zwei gesamtwirtschaftliche Konjunkturindizes: Den Geschäftslageindikator und den Stimmungsbarometer.
Der Geschäftslageindikator basiert auf den regelmässigen Konjunkturumfragen in Zusammenarbeit mit der KOF. Die befragten Unternehmen beurteilen ihre Geschäftslage als «gut», «befriedigend» oder «schlecht». Der Saldowert entspricht dem Prozentanteil «gut»-Antworten minus dem Prozentanteil «schlecht»-Antworten. Je höher dieser ist, desto besser schätzen die Unternehmen die aktuelle Geschäftslage ein.
Der Stimmungsbarometer ist ein breit angelegter Indikator, der die Stimmung in Unternehmen und privaten Haushalten misst. Er basiert auf den Konjunkturumfragen in Zusammenarbeit mit der KOF und der Konsumentenbefragung des SECO. Ein Wert über 100 deutet auf eine überdurchschnittliche wirtschaftliche Einschätzung hin, während Werte unter 100 eine unterdurchschnittliche Einschätzung signalisieren. Der Stimmungsbarometer ist so standardisiert, dass er meistens zwischen 90 und 110 Punkten liegt.
Die beiden Indikatoren werden gemeinsam von der IHK St.Gallen-Appenzell und der St.Galler Kantonalbank erhoben. Sie werden mit der gleichen Methodik berechnet wie die gesamtschweizerischen Indikatoren der KOF.